Meldemuschis voran!

Wer hierhin gefunden hat, kennt möglicherweise meinen Twitter-Account. Um genau zu sein bin ich fast jeden Tag auf Twitter unterwegs, während diese Seite hier eher ein Schattendasein fristet. Insofern ist es kein Wunder, dass manch ein Tweet auch Aufmerksamkeit erregt. Leider mitunter bei den falschen Leuten. Denn ich twittere mitunter völlig political incorrect, und noch dazu kontextbezogen. Was heißt das? Ganz einfach, ich twittere viel zu diversen Trash-TV-Sendungen. Letztlich macht Trash-TV inzwischen nur noch mit Twitter Spaß, denn sind wir mal ehrlich – wer braucht schon Sendungen wie das “Sommerhaus der Stars”, die hundertdreiundfünfzigste Staffel von “Deutschland sucht den Superstar”, die Fernseh-Beichten von “Ich bin ein Star, holt mich hier raus!” und ähnliches. Es ist, was ist es – von Zeit zu Zeit mehr oder weniger gute Unterhaltung, bei der man entspannen, abschalten, den Unbill des Alltags vergessen oder sich auch einfach über die Vollhonks, die sich für ein paar Euro zum Affen machen, aufregen oder lustig machen kann. Oder auch mitfiebern, wenn der eigene Favorit ganz vorne mit dabei ist, analog zu Fußballspielen oder Pferdewetten, nur dass Letzteres zu teuer und zwei mal elf Leute auf dem Platz auf der Jagd nach einem immer wieder wegrollenden Ding mir persönlich zu langweilig sind. Und da es nicht wenige Gleichgesinnte gibt, “trifft” man sich zwar nicht allabendlich, aber zu den angesprochenen TV-Events virtuell auf Twitter. Wobei es inzwischen auch Twitter-Trash-TV-Stars gibt, deren Tweets und Kommentare es bis in einige der Sendungen schaffen. Dagegen bin ich ein kleines Licht, manch ein Tweet wird zwar geliked, mancher sogar retweetet, aber von einem Influencer-Dasein bin ich weit entfernt. Da wundert es umso mehr, dass manch ein Tweet anscheinend tatsächlich Anstoß erregt. 

Aber gut, es gibt nichts, was es nicht gibt. So twitterte ich vor einiger Zeit (sic!) zu der Sendung “Top Chef Germany” mit entsprechendem Hashtag Folgendes: “An die Wand gestellt, aber leider nicht erschossen. Warum? #TopChefGermany“. Ich kann mich ehrlich gesagt nur dunkel daran erinnern, in der Sendung wurde irgend etwas von “an die Wand stellen” erwähnt, der genaue Kontext ist mir inzwischen nicht mehr bekannt, relevant ist jedoch, dass es sich um einen Kommentar auf eine Äußerung des besagten TV-Formats handelte. Wenn ich beispielsweise schreibe “XYZ war mir noch nie sympathisch, und ich weiß jetzt erst recht, warum! Ein echter Vollhonk!” mit einem entsprechenden Hashtag, der sich auf eine laufende Sendung bezieht, ist dieser Kommentar nur zu jener Zeit sinnvoll, denn wenige Minuten später ist der Kontext ein völlig anderer, so dass derjenige, der den Tweet beispielsweise drei Monate später liest, den Zusammenhang nicht kennt. Genauso verhält es sich bei direktem Sendungsbezug – es könnte sich beispielsweise um ein Spiel handeln, in dem man etwa auf Dosen schießt, oder Luftballons treffen muss. Nehmen wir wieder das Beispiel Fußball – wenn ich schreiben würde “Los, mach ihn rein!” ist in dem Moment klar, dass ich wohl den Ball meine und keine pornographischen Assoziationen habe. Oder wenn ich im ersten Beispiel twittern würde “Warum so zögerlich – jetzt knall sie endlich ab!“, sollte deutlich sein, dass ich die Luftballons (oder die Dosen) meine, und keiner weiblichen Person den Tod wünsche. Weniger Twitter-affine Menschen (ich erspare mir an dieser Stelle eine adäquatere Bezeichnung) könnten nun interpretieren, dass dies ein Mordaufruf wäre! Und schon wird gemeldet. Aufzeigen! Melden! Jawoll! Herr Lehrer, der Peter hat..! Melden macht frei! Hurra!

So kam es, dass tatsächlich dreieinhalb Monate (sic!) nach Schreiben und Veröffentlichen des besagten Tweets gemeldet wurde. Twitter prüft also, findet aber nichts, was gegen Gesetze oder die eigenen Richtlinien verstoßen würde. Netterweise haben sie mir das auch geschrieben:

Doch natürlich war der Spuk nicht zu Ende – schließlich gibt es da draußen entweder Wiederholungstäter oder eben ziemlich Leute, die sich der Denunziation verpflichtet haben. Wobei ich auf Ersteres tippe, denn wie erwähnt – dreieinhalb Monate war der Tweet bereits alt. Das sind in Internet-Zeiträumen bereits Jahre. Wer sich da die Mühe macht, das schier unendlich große Archiv zu durchforsten, muss ziemlich viel Langeweile haben. Die nächste Meldung, die nächste Reaktion:

Und wenige Stunden später nochmal:

Reicht es? Nein. Ach ja…

Inzwischen hatte ich auch selbst geantwortet – mit entsprechendem Screenshot der Twitter-Mail. Ich hoffe, damit nicht gegen Urheberrechts-Gesetze verstoßen zu haben…

Heute dann die wohl vermutlich letzte Mail zu dem Thema:

Das ist dann schon interessant. Wurde von gestern auf heute ein neues Gesetz erlassen? Wurden die Twitter-Richtlinien geändert? Oder hat den Tweet einfach mal ein anderer Mitarbeiter zu Gesicht bekommen, der scheinbar eine andere Interpretation der Gesetze und Richtlinien eingebracht hat? Vielleicht hatte Twitter aber auch nur keine Lust, sich weiterhin mit demselben Unfug beschäftigen zu müssen (ich würde ein Eskalationssystem genau so programmieren, nach dem Motto – wenn mehrfach gemeldet, nächste Stufe)? Denn natürlich – je öfters der Text gemeldet wird, desto öfter muss sich ein Mitarbeiter damit beschäftigen, desto mehr Zeit wird benötigt, insofern kann man den Tweet auch einfach mal eben entfernen, damit der geneigte Nörgler endlich Ruhe gibt. Das ist letztlich einfacher und ressourcenschonender, als den Tweet immer und immer wieder bearbeiten zu müssen.

Ich gebe offen zu – der Tweet gehörte nicht zu meinen besten, eher im Gegenteil. Er hat zum Zeitpunkt der Veröffentlichung keine besondere Aufmerksamkeit erregt, er wurde nur ein einziges Mal geliked, ansonsten erfolgte keine Reaktion. Das ist auch völlig in Ordnung so, denn ich hätte auch anders formulieren können, hatte mir selbst bereits Gedanken gemacht, ob er nicht zu heftig gewesen sein könnte. Vielleicht würde ich es heute anders schreiben oder auch einfach meine Klappe halten, aber zum Zeitpunkt der TV-Sendung war die Steilvorlage damals zu reizvoll. Ich hätte auch kein Problem damit, wenn mich jemand darauf angesprochen hätte – wir hätten darüber diskutieren können, vielleicht hätte ich den Tweet selbst gelöscht, vielleicht auch den Kontext erklärt, vielleicht dies, vielleicht jenes. Wie auch immer, dazu ist es jetzt zu spät, und letztlich ist dieser eine Tweet auch völlig irrelevant. Dennoch zeigt das Vorgehen, wie Denunziation und Einschränkung der Meinungsfreiheit funktioniert. Derjenige, der am lautesten und nur häufig genug schreit, gewinnt. Ohne Möglichkeit zur Diskussion, ohne Möglichkeit, herauszufinden, wer oder was dahinter steckt, ohne die Hintergründe zu kennen, ohne dass man sich zur Wehr setzen kann.

Davon abgesehen scheint Twitter anfangs kein Problem mit meiner Äußerung gehabt zu haben. Dann aber plötzlich doch. Und genau das ist schon sehr auffällig. Und letztlich zeigt es das Problem aller entsprechenden Gesetze und darauf basierenden Melde-Funktionen – man ist einem Unternehmen und dessen Willkür ausgeliefert. Lieber zu viel löschen als zu wenig. Zudem erhält man keine genaueren Informationen, gegen welches Gesetz oder welche Richtlinie verstoßen worden sein könnte, oder aus welchem Grund gemeldet worden ist, und natürlich erst recht nicht, von wem. Dagegen ist einem das Melden und Verpetzen, was man vom Hörensagen aus der Schulzeit kennt, also vor versammelter Klasse “Herr Lehrer, der Peter hat…” ja beinahe richtig sympathisch.