Spahn und der Spam der Empörungsindustrie

Manchmal weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Meine Twitter-Timeline, aber natürlich auch die Facebook-Meldungen waren sich heute mal wieder einig. Oh, Jens Spahn, erhält über 15000 EUR pro Monat, und er erdreistet sich, über HartzIV-Sätze zu sagen, dass diese ausreichend seien. Die Presse ist sich ebenfalls einig, bis auf einige wenige Medien, von wegen Herr Spahn sei abgehoben, habe den Bezug zur Lebenswirklichkeit verloren, die Opposition wirft ihm Arroganz vor, und so weiter, und so fort. Ich möchte dies auch gar nicht alles hier wiederholen, jedenfalls ist Herr Spahn einmal mehr zum Buhmann der Empörungsindustrie geworden, und dazu zähle ich neben dein einschlägigen Massenmedien natürlich auch und insbesondere die sozialen Medien mitsamt diverser Influencer und Nachplapperer.

Ein Auszug gefällig? “Mann, der 15.311 Euro im Monat vom Staat bezieht, weiß, dass Hartz-IV-Empfänger nicht hungern müssen”, “ich wünsche mir, dass #JensSpahn einen Monat Sozialdienst in der #EssenerTafel leisten muss.”, “Wer bei ca. 13.000 € Monatseinkommen meint, 400 € Hartz 4 reiche zum Leben, muss sich nicht über Politikverdrossenheit wundern. Es geht leider weiter wie bisher und die AfD kann sich freuen. “. Und so weiter. Das waren nur drei Beispiele aus der aktuellen Suche, und es ist alles mehr oder weniger dasselbe. Die Empörungsindustrie arbeitet.

Was hat Herr Spahn gesagt? Laut Focus: „Aber niemand müsste in Deutschland hungern, wenn es die Tafeln nicht gäbe. Wir haben eines der besten Sozialsysteme der Welt.“ Und weiter: „Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut.“ Mit der Grundsicherung habe „jeder das, was er zum Leben braucht.“

Einen Überblick über Hartz-IV-Sätze findet man beispielsweise hier. Ich bin alleinstehend, würde also 416 EUR erhalten. Pro Monat, allein für mich, und zwar für “Kosten für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat und Bedürfnisse des täglichen Lebens”.

Das meiste davon dürfte für die Ernährung verwendet werden. Aber rechnen wir doch einmal. Frühstück – zwei Toasts mit Belag? Dazu oder statt dessen Müsli, ein wenig Joghurt? Damit sollte man locker mit 10 EUR pro Woche auskommen, und selbst das wäre fast noch Luxus. Also 40 EUR weg, macht 376 EUR. Mittagessen – selbst wenn ich jeden Tag Döner essen würde (was nicht im Sinne des Erfinders ist), wären es 30 x 4 EUR, also 120 EUR. Bleiben noch 256 EUR. Abendessen – Brot, Belag, von mir aus auch Butter (ich mag keine, aber da sind die Geschmäcker verschieden). Brot ist nicht so billig, und man möchte vielleicht auch ab und wann mal ein Brötchen haben. Also rechne ich mit großzügigen 20 EUR pro Woche, macht 80 EUR pro Monat. Bleiben 176 EUR. Davon Körperpflege – Duschgel, Shampoo, Toilettenpapier etc., also ich brauche da nicht eine Flasche Duschgel und Shampoo pro Woche, aber sei’s drum, sagen wir 6 EUR pro Woche (und da ist noch die eine oder andere Creme mit drin).  Und der Rest schrumpft auf 152 EUR.

Nun gut, Hausrat ist schwerer zu beziffern, vor allem werden einem dazu ja noch einmalig diverse Zuschüsse bewilligt. Aber dafür kauft man sich ja auch nicht jeden Monat eine neue Kaffeemaschine oder einen neuen Toaster. Wie wäre es mit 10 EUR pro Woche für Putzzeug, Waschmittel, Klobürste, Messer..? Das subtrahiert verbleiben immer noch 112 EUR.

Also 112 EUR für “Bedürfnisse des täglichen Lebens”. Dazu zählt sicherlich der Internet-Zugang und Telefon, das haut rein, aber mit den richtigen Angeboten ist man bei 20 EUR pro Monat dabei. Rest 92 EUR.

Jetzt möchte man noch Süßigkeiten und Obst und vielleicht die eine oder andere Cola trinken? Einverstanden, aber mehr als 10 EUR pro Woche dürfte das nicht kosten. Rest 52 EUR.

Das ist natürlich nicht viel, selbst bei dieser sehr überschlagsmäßigen Rechnung. Dafür bekommen man keine Levi’s-Jeans oder gar Gucci-Tasche. Muss aber auch nicht sein, erst recht nicht jeden Monat. Aber wozu gibt es Discounter? Wozu gibt es wöchentliche Sonderangebote bei Supermärkten? Ebenfalls ließe sich noch beim Essen sparen, hier könnte konsolidiert werden. Selbst kochen ist definitiv nicht teurer als der Weg zur Pizzeria oder Lieferdienst. Ich habe es ausgerechnet – für zwei Personen kann ich locker ein Sonntagsessen für weniger als vier Euro kochen! Zudem gäbe es die Möglichkeit, beispielsweise einen Eintopf auch an mehreren Tagen zu essen – manche Suppen schmecken aufgewärmt sowieso viel besser. Ich will hier nichts vorschreiben, sondern eher dazu aufrufen, kreativ zu sein! Dann muss man keine “Tafel” bemühen oder sich durch die Fußgängerzone schnorren. Hier kommt es einfach auf die eigene Einstellung an. Denn nein, mit Hartz IV ist es nicht möglich, jeden Tag zu Subway oder gar McDonald’s (gilt auch für Burger King) zu gehen. Da sind mal locker mehr als 10 EUR weg – und nach zwei Stunden ist man noch immer hungrig. Und es verbietet sich auch, eine Schachtel Zigaretten pro Tag zu qualmen, wenn man kein Geld dafür hat – aber seit wann gehört Rauchen zu den Grundbedürfnissen? Ebenfalls ist das neueste iPhone tabu, wie wäre es denn mit einem gebrauchten Smartphone, was sogar noch gut für die Umweltbilanz wäre.

Und es gibt noch immer Sparpotenzial! Ich kann mich noch gut erinnern, in meinem Studium habe ich eine Weile mehr oder minder von Toastbrot mit Salz gelebt. Es war einfach nicht mehr Geld da, und das Zeug ist relativ billig. Ich behaupte nicht, dass es die perfekte Ernährung gewesen sei, aber es diente eine Zeitlang zur Überbrückung, weil mehr oder minder keine Alternative vorhanden war. Heute wundere ich mich vielleicht selbst darüber, aber es war andererseits auch eine Motivation, genau aus dieser Situation schnell wieder heraus zu kommen. Und zwar aus eigener Kraft, ohne Hilfe vom Staat oder Jammerei über die ach so menschenunwürdigen Bedingungen, unmenschliche Ämter oder sonstiges. Aber auch hierbei gilt – es kommt auf die eigene Einstellung an!

Ein Beispiel – ein Ex-Kollege hatte vor einiger Zeit einige Schulden angehäuft. Als ich ihn fragte, wie es dazu gekommen sei, meinte er sinngemäß, dass er zuvor viel verdient hätte und sich einen gewissen Lebensstandard aufgebaut habe. Danach hätte er – durch externe Umstände – weniger verdient. Ich entgegnete, dass er dann doch einfach hätte weniger ausgeben können. Nein, so war die Aussage, er hätte sich an den Standard gewöhnt und den wolle er nicht aufgeben. Dazu fiel mir nicht mehr viel ein…

Heute hatte ich dann noch eine lustige Diskussion mit jemandem auf Twitter – eben aus aktuellem Anlass über die Hartz-IV-Sätze und die Aussagen von Herrn Spahn. Am Ende hat sie mich blockiert. Was war geschehen? Ich hatte erwähnt, dass Hartz IV doch ein Existenzminimum bieten würde, was eben kein Luxus sein könne. Daraufhin kam die Aussage, dass alles menschenunwürdig sei, und dass Ämter nur darauf aus seien, Menschen kaputt zu machen und so weiter. Meines Erachtens begann damit bereits die Jammerei. Ich habe mich dann auf der Website der Person umgeschaut – durchaus nicht uninteressant, tätig im technischen Bereich, in dem man locker einen Job bekommen kann, der nicht ganz schlecht bezahlt wird. Ich hätte der Person tatsächlich in den gesamten letzten 20 Jahren einen Job anbieten oder vermitteln können. Genau das habe ich auch ihr gegenüber erwähnt. Am Ende kam so etwas wie die Arroganz der Armut. Von wegen nein danke, von jemandem, der sie abwerten würde, würde sie nichts annehmen wollen, und daraufhin die Blockierung. Das fand ich dann schon interessant. Lieber lamentieren und sich über ach so unfreundliche und unmenschliche Ämter aufregen, anstatt selbst endlich mal aufs Gas zu drücken und eine Beschäftigung anzunehmen? Ich könnte hier noch mehr ins Detail gehen, will aber die Person auch nicht diskreditieren, aber das Verhalten fand ich definitiv nicht angemessen. Meine Tweets sind ja noch öffentlich, kann jeder gerne nachlesen.

Bei der ganzen Debatte finde ich auch diejenigen Tweets und Meldungen immer wieder interessant, die sich über die Bezüge von Herrn Spahn aufregen. Angeblich erhalte er über 15000 EUR pro Monat. Ja – und? Was ist das Problem? Ich denke, es ist der Neid. Noch nicht einmal von den tatsächlich am Existenzminimum lebenden Menschen – hier hätte ich ja noch Verständnis. Nein, ich beobachte, dass sich insbesondere diejenigen darüber aufregen, die weit mehr als der Hartz-IV-Empfänger verdienen, die allgemein einen guten Lebensstandard haben, aber eben keine 15000 EUR pro Monat erhalten. Aber dabei stelle ich mir die Frage, ob nur jemand, der wenig verdient, Aussagen über jemanden treffen kann – oder darf, der wenig verdient? Was ist mit diversen Studien, müssen jetzt unsere Professoren mit Hartz-IV-Bezügen leben, wenn sie Studien über die Bevölkerung anstellen? Was ist das für ein Unfug? Was hat das Gehalt von Herrn Spahn mit dem Wahrheitsgehalt seiner Aussagen zu tun? Und warum ist hierzulande so eine Neidkultur vorhanden? In anderen Ländern zeigt man gerne und stolz seine Leistungen, und was man sich genau dafür leisten kann, während man hierzulande beinahe schon Angst davor haben muss, sagen zu können “Mir geht es gut!”. Und dann sind da noch die Scheinheiligen. Manche Facebook-“Freunde” – Geschäftsführer, Manager oder gar Privatiers, die ihr Ex-Unternehmen millionenschwer verkauft haben, echauffieren sich über die Aussagen des Herrn Spahn, als hätten sie selbst nur 3,50 EUR im Monat übrig. Doch genau das Gegenteil ist der Fall – diese Meinungsmacher oder neudeutsch Influencer leben vielleicht nicht auf großem Fuß, aber haben ein nettes Finanzpolster angehäuft, fühlen sich aber immer noch – vielleicht aus Studienzeiten – dem links-alternativen Spektrum zugehörig. Erstens – man erinnere sich daran – der Sozialismus ist gescheitert. Gab es alles schon einmal, hat nicht funktioniert. Aus Gründen. Zweitens – wenn diejenigen wirklich so links-alternativ wären, warum verkaufen sie nicht ihre Bitcoins und Aktien und verteilen die Erlöse? Um es deutlich zu machen – für mich macht es doch keinen Unterschied, ob Herr Spahn 15000 EUR pro Monat erhält oder irgend ein Vorstand eines DAX-Unternehmens vielleicht eine Million. An meinem Verdienst ändert dieser Umstand doch rein gar nichts! Diese Missgunst ist insofern völlig irrational, denn hier wird wieder einmal die Verantwortung von der eigenen Person weg transportiert und der Fokus auf andere Personen geschoben. Und erneut stimmt die Empörungsindustrie mit ein.

Dann wäre da noch die Motivation. Vermutlich sind die wenigsten Empfänger von Hartz IV mit diesen Einkünften zufrieden. Das ist absolut nachvollziehbar, denn es soll schließlich auch nur ein Existenzminimum bieten, und keine luxuriöse Lebensweise ermöglichen. An genau dieser Stelle sollte doch jedem klar sein, dass es an einem selbst liegt, diese Situation zu ändern! Ich könnte auch hier wieder einige Beispiele aufführen, sogar aus der eigenen Familie. Zwar kein Hartz-IV-Bezug, aber doch so, dass es Menschen gibt, die – und sei es erstmal privat und in der “Freizeit”, von der bekanntlich ohne Arbeit ziemlich viel vorhanden ist, sich weiterbilden, lernen, das eine oder andere Praktikum annehmen, was dann letztlich zur Festanstellung führt. Das alles funktioniert – vorausgesetzt, der Wille und die Motivation ist da! Und ansonsten – ja, genau für diese Fälle, bei denen das fehlt, springt der Staat ein. Wobei Staat viel zu anonym ist, denn es ist nicht der “Staat”, oder “der Steuerzahler”, sondern die Solidargemeinschaft, also letztlich alle, die arbeiten und mehr oder weniger willig, aber dafür sehr brav ihre Steuern zahlen. Denn wenn “wir” da auch nur einen Cent vernachlässigen würden, folgt die Strafe auf dem Fuße. Aber auch das ist eine andere Geschichte. Bedankt hat sich jedenfalls bislang noch niemand dafür, dass ich ihm sein Leben finanziere. Übrigens auch Herr Spahn nicht…